Der Hirt
Eine Zeit nach dem Tod des Jehudi wußten die Schüler noch nicht, wen sie sich zum Meister erwählen sollten. Sie fragten Rabbi Bunam um Rat. Er sprach: »Ein Hirt weidete die Schafe am Feldrain. Ermüdet fiel er zur Erde und schlief ein. Das war ihm noch nie geschehen. Um Mitternacht erwachte er, der Vollmond stand hoch, die Nacht war kühl und klar. Der Hirt trank einen Schluck Wasser vom Bach; es tat ihm wohl. Zugleich entsann er sich seiner Schafe, und sein Herzschlag stockte. Er sah sich um; die Tiere lagen wenige Schritte vor ihm wie im Pferch aneinandergedrängt; er zählte sie, keins fehlte. Er rief: ›Geliebter Gott, wie soll ich dir’s vergelten? Vertrau mir deine Schafe an, so will ich sie hüten wie meinen Augapfel.‹ Solch einen Hirten sucht euch zum Rabbi.« Rabbi Abele Neustädter, der einst den Jehudi in der Kabbala unterwiesen hatte und der vielen unter den Versammelten als der Nachfolger seines Schülers erschien, stand vom Stuhl auf und setzte Rabbi Bunam hinein.